Montag, 20. Oktober 2014

Der Tod und sein Boden

Ich war an einer Klassenzusammenkunft in Bern. Schulkameraden, alle über 50, fragen mich: "Und du, Jööönu, wo wohnst du heute? In Schlieren (ZH) oder?" Jetzt muss man wissen, für einen Berner ist es schon schwer nachzuvollziehen, in der Region Zürich zu wohnen. Ich sage: "In Frankfurt."

"Ja wie? Wo? In Frankfurt? Ja du hast aber schon noch eine Wohnung in der Schweiz?"

"Nein."

"Ja, aber ..., ahaaa, in Frankfurt - de bisch du jetzt z'Dütschland!?"

Es bleibt ein Moment, wo Fragende meine Antwort hören aber nicht einordnen können. Geht nicht. Bern oder so, das würde alles 'gehen' - aber die Schweiz verlassen, das nimmt deren Gehirn nicht auf.

Am Tisch sitzen drei ehemalige Klassenkameradinnen. Eine fragt. Drei erstarren bei meiner Antwort. Dabei ist die Form meiner Antwort im "Normalo-Modus" gehalten, wenn ich einzig "Frankfurt" sage. Ich könnte ohne Probleme zwei Minuten dazu ausführen. Aber die Schweiz zu verlassen, das lässt sich auch in einfachen Signalen nicht vermitteln. Die drei reifen Frauen, mehrfache Mütter unterdessen, sitzen da und schauen mich ungläubig an.
Südlich des Flughafen bei Frankfurt / Bild: (c) Jona Jakob, privat

"Ich erkläre es dir anders: Ich sterbe in Frankfurt, das heisst, ich werde dort begraben werden." Damit hatten es alle drei begriffen. Die erlangte Klarheit war weniger intellektueller Natur, als dass sie nachfühlbar wurde.

Fremde ist mE dort, wo man nicht spüren kann, im Grab zu liegen. Die meisten wollen 'heim'. Das ist oft geburts- oder kindheitsnah und erklärt, wie jemand auch in einer abgelegenen Region grösser investiert, Häuser errichtet und Arbeitsplätze schafft. Dort ist man daheim. Als Berner kann man in Basel sterben, aber beerdigt wird man in seiner Berner Gemeinde. Und als Schweizer kann man in der hinteren Mandschurei sterben, der TCS (in D der ADAC) bringt dich "nach Hause". Auf fremden Boden zu verleichen, das spricht zwar niemand aus, aber ist für Menschen kaum erfassbar.

Mit diesem Blick erkenne ich, das es nicht 'stimmt', irgenwie "fähig oder emanzipiert" geworden zu sein, mich vom Geburtsboden, dem Kanton Bern, zu trennen, damals schon, mit 24 Jahren als ich nach Zürich zog. Denn heute lebe ich in Deutschland. Ich bin mit der Geburt, wegen deutscher Eltern, Deutscher. So betrachtet, bin ich dort hin "zurück" gezogen, wo ich allenfalls herstamme, auch wenn seit Geburt in der Schweiz lebend. Und gleichzu wurde nie mein Boden, auf dem ich bisher lebte. Ich kann niemandem erklären, warum ich nicht Schweizer wurde - aber es ist so. Einen Grund dafür kenne ich nicht.

Was meine Betrachtungen und Fragen allenfalls in ein paar Jahren aushebelt - ich lebe ja noch: ich habe ein gutes Gefühl, auch in Beirut, Konstanta oder Ostende im Grab liegen zu können. Vielmehr kommt die Frage auf, ob man für jemanden, der in verschiedenen Städten lebte, nicht auch mehrere Gräber anlegen sollte?

Jona Jakob
Zürich, Bern, Frankfurt


Text von Jona Jakob, Oktober 2014 - Copyright Jona Jakob ©

Freitag, 17. Oktober 2014

Späte Süsse - oder: Net-Fundstück aus eigener Hand

Die Tage etwas langsamer in ihrer Frische, dunkel schon und gelblich. Sich bewegen reinigt die Nase. Nachts die neue Lust, sich dicke Daunen um die Beine zu schlagen. Gläser tauschen sich in Tassen, Kühles wird zu Warmgetränk. 

Und du, du tanzt mit deinen Tchibo-Hosen und dem alten Rollkragenpulli deine Kurven durch die Küche, weich und warm und häuslich vanillen, wie heisses Hefegebäck. Geschirr und Teelöffel scheppert, als wärst du heftig beschäftigt. Frischluft macht sich am Boden breit, ich ziehe meine Füsse hoch, dasitzend, in irgend einer Ecke deines Bunten. 

Ich hör dir zu, du Erzählende, Schwappende, Überlaufende, Sahnehaube und Herbstsonnewärme. Du Duft von Holz und Trockengras, Schwaden gärendem Fruchtbrantweins, Heustober. Was ist da schon wichtig, so lange ich dich sehe, die Strähne im Gesicht, darunter das glänzende Auge und deinen Mund, von dessen blitzendem Lachen ich nicht lassen kann.

Ein Finger fährt dir feinst über die blonden Härchen im Kreuz und wartet, als wäre Sunset im Schilfgras von Mimizan. - Nachsommer. Erstherbst. Laubtrocken. Gold. Zurückbleibstille. Dünenwelle. Sanftstimme. "Miracle".

Jona Jakob



P.S. Ich fand diesen Blogkommentar vom 24.10.2010 im Internet wieder und wusste nichts mehr davon: http://blog.flowerofchange.de/Die-Tage-etwas-langsamer-in-ihrer-Frische-dunkel-schon-Jona-Jakob.html

Text von Jona Jakob, Oktober 2010 - Copyright Jona Jakob ©