2006

Copyright Jona Jakob ©



Nov 06


Hamburg Eimsbüttel, diese Woche.

"Du must dringend noch zu Käthe und Doris, dem sehr Hamburg-typischen Frischfischladen in Quartier." Davor stehend wirkt der Laden tatsächlich angestammt. Rein.

"Ich hätte gern eine Schillerlocke, zwei Bratheringe und eine mittlere Schale geschälte Krabben." Ein irgendwie mehr als eindringlich phonetisch-physisches "Joaaa!" von der sonst ins Bild passenden Frischfischverkäuferin als Antwort. Eigene Ratlosigkeit bis ins Knochenmark.  Tiefste Verunsicherung. Irritation.

Sie sei aus Bern, habe dort in der 'Harmonie' als Serviererin gearbeitet, um das Studium mitfinanzieren zu können und dies hier in Hamburg sei einfach ehrliche Nebenarbeit (vermutlich neben einer für sie nicht sonderlich würdig wirkenden Dozenz ... weiss nicht?).

Verdattert: "Vielleicht ... Sie könnten meinen Vater als Gast gekannt haben: KJ?"

"Joaaa!"

Bratheringe wie Schwellenmätteli - Schillerlocke wie 3006 Bern - Krabben wie bei KJ am Cheminee. Shit...Vater ist nämlich seit wenigen Jahren nicht mehr...



Okt 06

Es ist Herbst. In Deutschland.

Ich verlasse den 5-Sterne-Kern des Gebäudetrakts. Zu Fuss. Eher unüblich hier. Dabei muss ich an der Seite des Feierabendhauses vorbei, einem wichtigen Treffpunkt der letzten 20 akkuraten Jugendlichen, die ihrer jeweiligen Muttersprache der elf Industrie-nationen noch mächtig sind. Gestern wurde hier Jazz gesponsert. Von draussen sah es aus, als wäre Landdisco, mit Farbscheinwerfern und Lufballons. Es ist 11:00 vormittags. Ich laufe. Ich weiss nicht, ob ich mit dem Mobile Bilder schiessen soll. Der Beitrag von Newton, Arme zu knipsen wäre zynisch, schoss kurz hoch. Vielleicht doch, den Opel Calibra, in seinem abgeschossenem Erdebeerrot, dessen Ralley-Streifen-Beklebung jedem Conforamasofa den Schneid abrang. Ein Reifen platt, Rostkitt überm rechten Hinterrad, etwas gebrochen der Glanz der Scheinwerfer. Moosgrün auf dem Himmel des Wagens von den Bäumen, unter denen er wohl seit Wochen stand. Ich gehe rechts ab.

Mietskasernen, so weit das Auge reicht. Gebaut und gestellt von einem Chemiekonzern. Dem irgendwie einzigen Arbeitsgeber dieser Stadt.  Bezeichnend die Anilin-Strasse oder der Soda-Weg. Laub überall, grosse alte Bäume, wie wir Schweizer uns das wünschen würden. Und darunter Menschen, die - ohne Ausnahme - einfach nur arm sind. Arm. Man wünscht ihnen nicht einmal kleinwenig Zahnweh, sie hätten es nach 40 Jahren Fabrikschicht nicht verdient. Bis ich ein erstes Bäckergeschäft sehe, bin ich an zwei Quartierkneipen vorbei, die beide geschlossen worden waren. Zu. Verriegelt. Dicht. Dann der Bäcker. Zwei Kosmetiksalons, der eine mehr auf 80er-Jahre-High-Tech, der andere eher esoterisch. Ich weigere mich, meine Füsse für 'ne Fusspflege hier hin zu halten. Nicht hier. Das tu ich diesen Mensch nicht auch noch an. Das kann bei Verlaub 'ne Nasenrümpfschickse in Zürich machen (ich freu mich zynisch). Weiter. Erstaunlicherweise kaum Hundekot auf den Fussgängerstreifen. Auch kaum Fahrräder. Vielleicht zu arm für Hunde und Fahrräder? Eigentlich niemand da überhaupt. Auch nicht Autos. Kaum jedenfalls. Sparkassenfiliale. Friseursalon. Auch für Herren. Das erlaube ich mir. Nase rein und angefragt - "Wenn se Zeit ham, setzen'se sich 'maj da hinn, des ham wa gleich." Die Patronin wäre ein eigenes Kapitel wert. Folgen Sie einfach der Vorstellung, sie wäre früher Wettkampftänzerin gewesen. Das Eitle, das Akkurate, das Blonde, das visage Aufgetragene, damnd... wenn bei der 'mal ein Furz entwischt. Ich möcht es nicht wissen. Na, da geht auch schon eine Hintertür auf und 'ne ältere Dame setzt sich neben mich. Redet gleich drauf los. Keine Begrüssung, einfach gleich ins Gespräch. Nicht unangenehm, aber ohne Chance, selber in die Bunte gucken zu können, obwohl Boris Becker doch nun zu Weichnachen .... nö, geht nicht, keine Chance. Die Alte hat mich im Fokus und behält mich dort. Sie ist dran. Waschen, Föhnen.  Es schneidet mich dann zu meiner Überraschung die junge. Jung. Sehr jung. Hände wie Seide. Bleich wie Magermilch. Da die Patronin redet, hat sie nichts zu sagen. Wir kommen doch ins Gespräch, bis ich zugeben muss, nicht von hier zu sein. Sie erstaunt. Woher ich denn käme? "Aus Zürich."

"BITTE, BITTE, NEHMEN SIE MICH GLEICH MIT!"

Ich dachte, ich hätte das schon bei der Fusspflege verhindern können, aber jetzt war ich doch angeschossen. Es war dann nicht soo stressig, aber die sehr junge Frau wäre mitgekommen. Um jeden Preis. Die war fibbelig und vergass dabei, mir den Nacken entsprechend zu kürzen. Ich hab nun was von 'nem regionalen Fussballspieler. Bis Montag, auf alle Fälle. Das Ganze kostet dann 11 Euro. Die Chefin im Rücken palavert noch immer. Ich sage "Dreizehn ist gut." lass der sehr jungen aber die ganzen 4 Euro zurück, die meine beiden Geldscheine hergaben.  Glück, denk ich in dem Moment, ist nicht Geld, sondern gesehen zu werden. Ich schau sie an und sag ihr: "Sagen Sie es einfach immer laut und deutlich - ich möchte gerne in die Schweiz! - und nicht aufgeben. Nur auf diese Weise kann jemand dann aufstehen und sagen, ok, kommen Sie mit. Einfach weiter machen." Schirm noch mitnehmen, dann raus. Ich bin leer.

Der Platz, wie soll ich sagen. Er verlief in vier kleinere Strassen von denen mit nicht eine aufgrund der Bauansätze ermutigte, dort meinen Weg fortzusetzen. Ich wählte rechts, um im Kreis zu gehen. Fussweg, ungepflegtes Gemeindegrün, Bahnunterführung, Pechgeruch. Andere Seite. Sah nicht ermutigender aus. Eine Kneipe. Ebenfalls definitiv geschlossen. Ich hatte ja schon im Hessischen Wald etwas Abstand zu dem Kleinmief genommen, wurde nicht warm, mit der Feuchtigkeit der Plattenwände und Normfenster. Aber hier. Hier war kein enormer Wald. Hier war das Zentrum einer Stadt und die Häuser miefiger, die Gärten feuchter, das Grün ins Kraut geschossen, die Autos alle über 10 Jahre alt. Wenn einer fuhr, war er röhriger zu hören oder blauer zu riechen.
Ein Büdchen, Zeitungskiosk. Männer. Alte Jacken. Krumme Mützen. Rauchwaren. Hervorgehusteter Auswurf. Schweigen. Seit Jahren. Herbst. Die Deutschen haben Totenschädel auf ihre Jeeps gepappt. DIE BILD schreit. Da fährt eine Tram vorbei. ...

... eine Tram. Ein aerodynamisch-geräuschloses-windschlüpfriges-wohlgestyltes-werbebedrucktes-niedergeflurtest Tram. Hier. Hier?
Das gibt kein Gefühl von Hoffnung und Neubeginn ....

DIESE TRAM WIRKTE AUF MICH, ALS WÜRDE SIE KEINE HOFFNUNG MEHR AUSSTRAHLEN, SONDERN EINZIG DEN KONKRETE BEWEIS DAFÜR, DASS FÜR DIE FÜNF MÄNNER BEIM BÜDCHEN IRGEND EIN ZUG LÄNGST ABGEFAHREN WAR. Mein Eindruck. Mich verlässt der Mut, dort 'n Stern zu kaufen. Gehe einfach. Graue Gärten. Hinweisschilder auf den Chemiekonzern und das Stadtklinikum. Ich denke, dort wird dann wohl ein Lokal gegen 12:00 mittag etwas auf haben. Es folgt ein Passieren, das wegen eines Baumes etwas zu eng würde. Die sehr alte Dame, süss, überbunt bekleidet, sehr damenhaft, mit weisser Haut und dramatisch schwarz gezeichneten Augenbrauen ... und etwas Haushaltspapier hinter dem Ansatz der Archillesferse, damit die eher angeschlarpten Pumps doch hielten ... Sie sah mich an, der ich aus Rücksicht kurz wartete, hielt ihre Einkaufstüte von Schlecker und die beiden Rollen Haushaltspaier unter Arm geklemmt und straight an mich:

"... wenn ich nur unter dem rechten Fuss nîch soo a schlimmes Hühneraug hät - wissen'se ... seit mei Mann gestorben isch, vor 32 Jahren, nur mit der Wittwenrente, da könne se sich sowas ned mehr leisten. 28 Jahre war er bei der XYCZ! Schicht hat er gmacht. Jahr für Jahr. Bis er krank wurde. Ersch der linke Lungflügel. Immer Wasser und Blasen. Zletscht Blut. Dann musst er opperiere, ein Stück Lunge nausnehma. Das ging dann, aber nimmer so wie vorher. Und rechts wars dann auch ned einfach. Was soll ma tun?" -
...ich weiss nicht, wie ich da weg kam. Ich hätte ihr die Fusspflege spenden sollen, die ich mir nicht zusprach.

Ich erreiche das Stadtklinikum. Zuvor noch ein alter Bau, der mit 'Projektleitung Renovation Klinikum' angeschrieben ist. Der Kasten wirkte so an die Vierzig. Überm Portal hat er einen enormen Schwebebalken, wie ein Bugspriet eines Segelschiffes, und an dem hängt ein roter simpler Ring. Alles enorm gross. Und mir einzig das Gefühl verschaffend, wenn der Finger müde wird, fällt der Ring des Lebens. Man kommt. Man geht auch wieder. Und dazwischen - mit Tucholsky gesprochen - war alles kleinwenig zu laut. All die alten Karren, die an der Strasse parkiert standen. Graubedeckt, wie jene alten Karossen, die in Schlieren ganz hintern nach Polen oder in den Libanon verkauft werden. Hier noch einglöst. Alles kleinste Steuerklasse, gebastelt. dreckig, hoffnungslos, stehend, als hätten deren Eigner das Spital nicht mehr verlassen. Jedenfalls nicht mehr selber des Autofahrens vermögend.

Ich muss 'mal für Jungs. Wo also endlich ein Lokal. Andere Strassenseite. Atilla Grill. Zu viele Griechen hier. Pizzeria Napoletana. Am Eingang vor mir ein sehr alter Mann. Am Gehwagen gehend, damit er Krücken vermeiden kann. Ich sag noch von hinten: "Warten Sie, ich helfe Ihnen." Da krieg ich zur Antwort: "Bin selber im Krieg gewesen. Das schaff ich schon noch." Drinnen wird Herr Kern vom Junior und der Patronin mit "Guten Tag Herr Kern, was hätten Sie heute gern?" begrüsst. Hier alles sauber und adrett, aber von einer Synthetik, dass ... vergessen wir's. Die Toilette war wirklich sauber und das Essen wurde aufmerksam serviert. Was mir zu fest nach Findus schmeckte, lies ich einfach sein. Der Rest war ok. Noch letzte Meter. Ums Klinikum rum. Parkallee. Strassenanlagen, als hätte ein Chemiewerk-Architekt der 20er-Jahre als kleiner Albert Speer der Konzernleitung einen Politbesuch imagemässig aufbessern dürfen.  Senioren bestaunen das moderne Rondell-Restaurant, zwischen Klinikum und Feierabendhaus aus Stahl und Glas modern errichtet. Leute essen fünf-sternig. Was das sei? Das gehöre zum Direktionshotel des Chemiekonzerns. Es sei neu und man müsse nur drum herum dazu kommen. Ach so.

Am Boden gelbe Blätter von Platanen, die die Breite der Strassenanlage bedecken. Es könnte hier schön sein. Zürcher würden für sowas schwärmen. Mich aber labt einzig, dass der feuchte Lehmdreck an meinen Mokkasins auf dem schwarzen Granitglanzboden der fünf Sterne eine Spur des Quartier hinterlässt, reinschleppend bis auf den Teppich des Glas-Stahl-Liftes.

Nachtrag eins. Der Zimmerfrau geb ich aus lauter Ohnmacht einen
10-Euroschein, was die schon wieder mit "Das könn se ned mache..."  versucht, abzutun. Drei Minuten später hab ich noch Früchte aufm Zimmer. Verschraubt, wie Sloterdijk den Zynismus runternotierte. Verschraubt.

Ludwisgshafen bei Mannheim, die letzten drei Tage.

Nachtrag zwei. Der ehemalige Bundeskanzler veröffentlicht seine kiloschweren Memoiren. Als Staatsmann. Als Hungerjunge. Als Europabauer.

"BITTE, BITTE, NEHMEN SIE MICH GLEICH MIT!"



Okt 06

Wie sein Vater

Immer wieder war er durchdrungen von jenen selbst gemachten Bildern, auf denen er, mit nun 44 Jahren, zum ersten Mal in seinem eigenen Gesicht das Gesicht seines Vaters erkannte. Er wusste zuvor nicht, dass ihn das dann erleichtern würde. Er sah den Vater nicht, wenn er sich morgens im Spiegel ansah. Doch auf den Bildern sah man ihn. Limbach spürte tief in sich, dafür irgend jemandem Danke zu sagen, den Umstand als ein Glück spürend, auf das er stolz war.

Es war ein frühherbstlich stiller Abend, an dem Limbach sich einen eigenen Moment richtete. Jazz spielte und das Glas öligem Sprits passte farblich zu den beiden Ledersessel. Es war nicht wirklich das Arrangement von Dingen, aus denen sein Vater sprach, es waren vielmehr seine Handbewegungen, sein Hinschauen, sein Schritt durch die Räume.

Limbach legte einen Stift so nieder, wie es sein Alter getan hatte. Behutsam, sich einem Boot bei Fahrt von der Seite her nähernd , das Glas neben die Lampe, den Stift an das Buch, das Telefon auf den vorstehenden Rand des darunter liegenden Buches. Sich selber setzend, die Beine hochschlagend und den Blick auf die Leere der Wand gegenüber gerichtet, als würde er sie gleich in eine Wertedebatte hineinziehen. Abdullah Ibrahim hetzte seinen African Marketplace etwas zu sehr durch die Tasten.

Limbach hörte, wie sein Vater derweil sagte: "Mein Gott - jetzt fängst du auch damit an."



Sep 06

2020

Er sass abends in Begleitung an heftig verkehrslauter Quartierstrasse und bei feinen Tellern Sarajewischer Spezialitäten. Er erzählte die Geschichte in ihrer alten und in ihrer neuen, ganz besonderen Form. Beide staunten nicht schlecht über die Handlungsweisen der beteiligten Protagonisten. Es war eine Drecksgeschichte. Man hatte keinen Anlass, zu einem Schluss zu kommen, staunte einzig, feixte über vier gestohlene Räder und einen Treffer selbst auf 800 Meter und beschloss, für die Sache einen finalen Fanal auf 2020 anzusetzen. Der Rest lief bis dahin unwiederbringlich von alleine, man könnte sich höchsten im Datum kleinwenig vertun, was nicht wirklich wichtig war. Es ging einzig darum, eine Idee davon zu haben, worin alles enden könnte.



Aug 06

Zu heftig getrocknet.

Er stelle sich ein paar dickste Wollsocken vor. Grau-schwarz-écru-farben gescheckt und einmal etwas zu heftig im Kachelofen getrocknet, deren Elastizität stets mager war, dafür die Sockenbeine eine Steifheit besassen, so dass diese stellenweise wie eine sich öffnende Blüte vom nicht ganz frisch rasierten regenbleichen Wadenbein abblätterten und stellenweise hingegen dem Wadenverlauf nach hin zu Knöchel runter sich nicht an die eher kühle Haut des Unterbein legten, sondern sich wie Tapetenluftblasen vom Straff der Haxe abhoben, wo man mit dem Finger 'reindrücken konnte. Welches die linke oder die rechte Socke war, blieb seit Fertigstellung durch Tante Ümsa ein Rätsel.



Jul 06

Magma.

Gerade in der Begegnung erkannte Limbach, wie weit er sich selbst entfremdet hatte. Nicht, weil genau das Wesen ihm gegenüber das so deutlich machte, sondern vielmehr, weil das Begegnen, also jener Teil daran, der eigens aus ihm heraus kommen sollte, so verschüttet war, als hätte er zuvor nicht mehr sein dürfen.

In der Nacht, als er allein schlief, jagten ihn Gefühle der Hingerissenheit und der Ohnmacht. Zu deutlich war er in der Lage zu sehen, von welch tiefer Erkaltung die krustige Schicht war, die bei beiden je über dessen liebendem Herz lag. Nach Gründen hierfür zu suchen war nicht sonderlich schwierig. Schwieriger dabei und Ekel erregender vor sich selbst empfand Limbach das Gefühl, in jahrelangen Reaktionen auf andere sich selbst gelöscht zu haben bis dunkel nur noch das Loch in ihm.

Limbach drehte sich, es war 03:48 Uhr auf Montag, richtete die handgeschriebenen Zeilen an sie nochmals um ein paar Grad unter seinen Handwinkel und schrieb mit letzter Kraft als Entschluss aus sich selbst:

"Leck mich, Hades!"



Jul 06

Nachtfeuchte.

Als er heute nach Hause kam, fuhr er den Wagen in seine Garage, legte die Türe leisest in den Rahmen, klickte den Handgriff nach rechts und drehte sich selber dann um. Zuvor kippte er das kleine Fenster auf, nicht sicher, was nun heisser war, der Wagen, die Luft, das Draussen? Es war kurz nach Mitternacht. Gehend ums Haus herum, die paar Meter öffnete er seine Arme. Polo und Shorts trug er. Und so, mit offenem Armen, einem Flugzeug gleich, lief er durch das Feuchte der Luft. Nichts bewegte sich, kein Hauch, ausser, dass er den Eindruck bekam, auf einem schwitzenden Körper zu gehen, gross und in seiner Kontur nicht abzeichenbar, einzig bezogen auf den Strich einer Spur, auf der er ums Haus ging, als würde er aus einer Bauchfalte rauslaufen. Das fettige Warm, noch fein genug, nicht Nebel zu sein, stehend, drückte sich ihm von unten an. Am Unterarm, am Hals zum Kiefer hin, unter den Haaransatz bei den Ohren und in die Beinöffnungen der Shorts, drang die atmende Haut der Hitze, die versuchte, durch das Verdünsten von Flüssigem eine physikalische Abkühlung zu erlangen. Alles schmierte. Näher an Gemäuer, Zaun, Sträucher und Bäume kommend, verstärkte sich dieser Druck auf sein Durchgehen, fast, als hätte er Gummistiefel an, an denen vollgeregneter Lehm aus Rebenfeldern die Schuhe mit jedem Schritt schwerer und schwerer werden liess. Er war sich nicht sicher, ob man das Zeug atmen sollte. In all der Flimmrigkeit lagen die Strasse still, kaum Zeichen von Bewegung oder Sommernacht. Das klare metallene Klingen seiner Schlüssel passte so nicht. Leder und morsches Holz wären passende Geräusche gewesen.  Als er dann oben angekommen Licht machte, in seiner Wohnung unterm Dach, war alles auf einmal zu trocken und das Drückende .. es kam nun von oben.



Jul 06

Limbach schrieb: "Ich selber laufe noch auf dem trockenen Grund des eigenen Öltankers an Seele und Herz. Auch 'mal 'ne faszinierende Perspektive. Wenigstens trocken, nicht faulig. Und super Raum! Wirklich. Ganz eindrücklich, die Kathedrale."

- JJ, 07.07.06



Jul 06

"Lass die Erotik 'mal noch aus dem Spiel, das macht sie, wenn, erotischer." so noch Limbach zu ihr, "Sie liegt im Moment zwischen dem Absetzen des Sinfonieorchesters und dem Einsetzen des Applauses, in einem Aussetzer des Spiels von Maceo Parker und in dem Bruchteil einer Sekunde, wo man sich dem noch unbekannte Nebenan zuwendet, um hilflos Pop Corn anzubieten und dieses mit dem Gesicht schon bei einem ist und ausatmet, den Mund leicht offen und es den vier Augen nicht mehr reicht, so schnell den Fokus aufs Schielen zu legen, so dass der Instinkt die annähernde Kopfbewegung liest."  - JJ, 05.07.06



Jun 06

Als Limbach den Autostopper auf der nächtlichen Fahrt nach Basel fragte: "Ja, aber was genau hast du damals gearbeitet oder bist du von Beruf?" da antwortete dieser ihm: "Ich bin Büchsenmacher," und Limbach gleich "Jaaa, 'Büchsenmacher' im Sinne von Waffen oder im Sinne von Konserven?'.
Der sehr professionell auf der Strasse Lebende antwortete gleich "Neee, Waffen natürlich, ich hab in der Manufaktur gearbeitet." Limbach "Das heisst, ich kann bei dir eine Waffe ...?" "Im Prinzip ja, aber das werde ich nie mehr tun ausser ein allerletzte Mal für den Kerl, der meine Tochter 'was antut."

Der Unbekannte redete etwas zu viel und ohne Unterbruch, doch war das Gesagte keinesfalls wirr. Als er sich in Pratteln ausladen liess, fragte Limbach wohin er denn nun erst einmal ...? es war 22.53 Uhr. Der professionelle auf der Strasse Lebende sagte: "Nach Genf." "Um Herrgottswillen, weshalb er sich dann von Würenlos nach Pratteln hatte mitnehmen lassen, wenn er nach Genf wolle?" "Das ist einfach ... die aus Zürich fahren alle nur in den Aargau ..." - Limbach musste über dieser Beobachtung, die zugleich nach einem wohlwissenden Urteil klang, grinsen - "... und hier hingegen muss ich nur noch auf die andere Seite gelangen, um einen von den Deutschen zu erwischen, der in den Süden will. Da ja der Gotthard zu ist, gibt es für viele nur die Chur oder die Genf Variante. Die Chancen sind hier viel grösser."

Während Limbach, nun wieder allein unterwegs, seine Limousine zwischen neonbeleuchteten grünen Tanksäulen in das orangene Spurenbad einer etwas zu heftig beleuchteten Grossbaustelle steuerte, hatte er keinen Zweifel, dass der professionell auf der Strasse Lebende in Bezug auf das 'Machen' einer letzten Waffe ... - JJ, 25.06.06



Jun 06

Er würde nun versuchen, das was an trockener Wäsche 'rum lag gedampft in die Kästen zu bringen, Heather Nova erster Güte hörend, um sich an ihr Gesicht zu erinnern, bei dem man als Mann sich unweigerlich fragen musste: "Warum bin ich nie in der Lage gewesen Surflehrer zu werden?".
- JJ, 03.06.06



Sep 05

Ein Tag für einen Dienst                            


Es war an einem Dienstag,
als er für sich akzeptierte,
dass es Herbst würde.
Grau der Himmel,
kälter schon seit Tagen.
So war er eingestellt.

Er wusste, dass es nicht möglich war,
Anderes anderen mitzugeben.
Sie würden es einzig nehmen.
Aber sich geben lassen, tun sie nicht.

Doch weil der Inhalt ernst war,
arbeitete in ihm das Denken,
in der Sache selber
vom Vater angenommen zu haben,
dass die Haltung,
ein Ende zu kennen,
eine Freiheit ist.

Er möchte an diesem Tag,
an dem er für sich akzeptierte,
dass es Herbst würde,
nicht weiter (er)leben,
dass gerade die Andern,
die diese Haltung der 'Freiheit im Ende',
nicht annehmen konnten,
- was nur verziehen werden kann,
nicht angemahnt, einzig feststellend -
daraus das Gegenteil verursachten,
jenes, der 'ohne-Macht' .. Ohnmacht,
einem gänzlichen Verlust von Freiheit,
einem 'Keine-Freiheit-da-kein-eigenes-Ende'.

Also, dass 'die Andern' darüber entschieden,
dass es doch noch nicht der richtige Tag wäre,
und - um dieser Haltung gegenüber,
dass es ein Ende gäbe, mit einer
Angeblichkeit von Liebe zu antworten,
monierend, jedoch einzig eigen -
jedenfalls nicht das annehmend,
womit sie meiner Liebe ihnen gegenüber,
im Gehen, als meine letzte Erinnerung
mir mitgeben würden,
als ein Gefühl von 'verstanden'
und darin von Annahme
und damit verbundenem Respekt,
das wäre zum Schluss der Verlust,
mich selber gewesen zu sein,
frei und eigen und schön.

Und so bleibt, was erst spät erkannt,
damit aber noch nicht gleich verstanden wurde:
'Vergib, denn sie wissen nicht, was sie tun.'

'Jener' damals gab.
Sein Einverständnis. Dazu.
Dass wir nehmen.
Dafür starb er.
Frei.
Selbst als Gefangener.
Frei.
Und daher seine Grösse,
in der Wegnahme seines Lebens
noch etwas zu geben.

Und daher seine Möglichkeit,
aus diesem Geben,
uns nehmen zu lassen.
Ein Nehmenlassen, das uns jedoch zeigen will:

'Gebt!'

Da heraus würde dann losgelassen
und mir mich zurückgegeben
und mir das geschenkt
was des Seins höchstes Gut ist,
die Freiheit.

-

In Liebe.
Und für die Freiheit.
Heute, an diesem Tag für einen Dienst,
wo ich akzeptierte, dass es Herbst würde.

Jona

September 2005, nach Gesprächen bei Freunden, ob man morgen, die in schwerer Agonie liegende Katze nun einschläfern gehen sollte. JJ, Sept. 05



Nov 04

Stille ging aus, vom leeren Stuhl.

Er war nach Hause gefahren, schlief wenig, bereitete sich in den sehr frühen Morgenstunden auf die Thematik der Teilkostenrechnung vor, besuchte den Unterricht. Der Dozent roch nach Knoblauch, wirkte wie ein leerer Alkoholiker etwas fahl und die ganze körperliche Show, sein sozusagen physisches Engagement, hatte wohl mehr zum Zweck, sich selber wach zu halten. Der Mann ist gut 50 und ringt immer noch nach Anerkennung oder Liebe oder beidem.

Er konnte sich nicht mehr an den genauen Termin erinnern, weil der ihm im Moment des Ausgesprochenen nicht relevant schien. Der Akt schon, nicht der Zeitpunkt. So wusste er also nicht genau und eigentlich nur, dass es in diesen Tagen hätte sein können.

Er war nach Hause gefahren, mit dieser Stille des leere Stuhles.

Die Gruppe klärte sich um weitere Schritte und begann zu brechen. Nicht konkret. Mehr so wie Eis, dass gebrochen ist, nicht aber driftet, sondern Schnee drüber zu liegen hat, der die Brüche nicht sichtbar macht.
Stimmen, die ein baldiges Ende bedauerten. Statements, dich sich selbst verdeutlichten. Konturen, die in Gruppen eingeteilt werden konnten. Bemühen derjenigen, denen in der Gruppe das Erhalten als Rolle zukommt. Forcierung durch die Trainer.

Ob er wollte oder nicht, empfand er, dass irgendwie um Ihre Stille Stille herrschte. So fuhr er nach Hause. Sein Inneres schlug aus, Seismographen gleich. Unruhe.

-

Drei Kinder oder zwei, wie auch immer.
Unschuldig, doch absorbierend.
Immer noch nehmend von dem, was noch zu holen war.

Und vielleicht  etwas Selbsttäuschung, die sich noch sagte,
dass es gut täte, geben zu können.

-

Wo?
Wo war sie?
SIE.

Sie war irgendwo.
Da war er sich sicher.
Da wusste er, dass er etwas gespürt hatte.
Also war sie.

Es war ihm möglich zu denken, Sie sei.
Wirklich.
Aber das Darum war nicht.
Deshalb empfand er Sie fallend.

Nicht für sich, sondern weil das Darum nicht war,
es ihr also keine Gelegenheit bot, nicht zu fallen.

Fallen nicht im Sinne der geläufigen Sprache,
von runterkommen.
Fallen mehr einem Flug gleich, durch den Raum,
also auch nach Oben oder Rechts oder Links.
Einzig deutlich machend, dass es wie kein Ufer gab,
an dem sie sich hätte hinsetzen können.

So flog sie.
Vermutlich lange schon.
Wie geübt.
Und für andere kaum mehr erkennbar.

Dann nahm er sich etwas zurück.
Gesendete Zeilen halfen.
Nächtlich und ertappend.
Und auf einmal konnte er schreiben, wonach es ihm war.

Er hatte kein Drängen in sich.
Es war aber schwer erkennbar, auch für ihn.
So wollte er schliesslich schreiben, wonach es ihm war:

Ihm war unbändig danach, wie noch einmal in diesen leeren Raum hinein zu rufen, ob da nicht doch noch jemand wäre, weil, wenn nicht, dann würde er ja nichts verlieren, wenn er noch eine Weile rufen würde.

Und was, wenn doch?
Wenn doch noch jemand in dem Raum war?
Danach war ihm.
Also rief er, auf welche Weise auch immer.
Doch rief er weiter.

Denn, da war er sich sicher.
Sie war noch.
Noch irgendwo.
Und DAS war es, was er immer spürte.

Ruhe gewann in ihm wieder Boden. - JJ, Nov. 2004



Dez 96

Über das Billard-Spiel.

Gestern noch, in einem Fernsehfilm, erwähnte jemand, dass Backgammon gemäss einem amerikanischen Gerichtsurteil, kein Glücks- sondern ein Kampfspiel sei. Vermutlich wird auch Schach so verstanden. Billard, ist es nun ‘Glück’ oder ‘Spiel’ oder ‘Kampf’?

 ‘Glück’ ist ein Begriff, über den ich nicht viel sagen möchte. „Glück,“ sagte mein Vater einmal, „ ist dumm sein und Arbeit haben!“

‘Spiel’ hingegen sollte abgrenzen, Raum schaffen, gegen den ewigen Ernst der Tage, das stets verlangte Sinnvolle, das Gefangene. ‘Spiel’ ist losgelöst, nicht sinnlos sondern sinn-frei, nicht notwendig einem Nutzen zuordbar. Kinder spielen, weil sie losgelöster, freier, vielleicht unerzogen und damit dem Ursprünglichen eventuell näher sind.

‘Kampf’ kann vieles sein. Ein Messen. Stil. Eine Einstellung. Sicher Wettbewerb. ‘Kampf’ ist nicht notwendigerweise Sieg oder Niederlage. ‘Kampf’ ist eindeutig vor Sieg oder Niederlage. ‘Kampf’ ist ein Tun. Nicht nur gegen mindestens einen Zweiten. Oft auch nur gegen sich, mit sich, in sich allein.

Billard verlangt auf den ersten Blick eine Strategie für sich und gegen den anderen. Dann hohes Geschick von einem selbst, damit die Strategie erfolgreich und möglichst lange ungestört beschritten werden kann. Dieses, vom Spielenden, abverlangte Geschick erfüllt beide Spieler mit zwei sich abwechselnden, oft unbewussten Empfindungen:

- Spielt man selbst ungeschickt, dann schmerzt es und der
  Schlag fällt sozusagen auf einem selbst zurück. Ebenso beglückt
  dies den Gegenspieler nur bedingt.

- Ist das Geschick aber von reiner Natur, dann beglückt es den
  Spielenden, und obwohl der Nichtspielende allein schon dadurch
  einen Verlust hinnehmen muss, so wird er doch zumindest durch
  eine hohe Kunst geschlagen, nicht durch Bauernschläue oder
  Hinterhalt oder Verschlagenheit.

Man hat also letztendlich vier Möglichkeiten:

- Man gewinnt ‘rein’ und freut sich berechtigt und erfüllt
  oder man gewinnt durch des andern Ungeschick und
  erfährt nur bedingte Freude.

- Ebenso verliert man ‘rein’ und freut sich dennoch,
  nämlich am feinen Können des Gegenspielers, oder
  man verliert durch sein eigen Ungeschick und erfüllt
  dadurch auch dem Sieger keinen rechten Sieg.

So unterscheidet sich Billard nicht in einem armseligen Verständnis von Sieg oder Niederlage,  sondern vielmehr durch eine Art des verborgenen ‘Dialoges’ und dessen jeweiligen Qualität. Es empfiehlt sich also ein zweiter Blick. Und:

 Man bemühe sich in erster Linie vor sich selbst!