Freitag, 4. Oktober 2013

Samstag und Werte vom Werten

Wären alte Zeiten, die Sachen hätten noch Knöpfe oder Regler. Aus richtigen Lautsprechern käme ganze Musik. Draussen wird es Herbst. Lenny Kravitz spielt 'Let love rule'. Bestimmt.

Ich meinte, das Leben würde leichter. Teils, teils. Wie mir scheint betrifft dies mehr das Formale, das Alltägliche. Doch was das Ausschweifen betrifft, die Schwärmerei, Sehnsüchte und kleine Formen von Taumel, die, so scheint es mir, sind mühsamer zu finden, kaum noch zu erleben, meist einsamer. Ich zünde mir eine Zigarre an. Einer meint, ich sei mir schon um den Krebs bewusst, den ich riskiere. Ein anderer fragt nach der Marke, möchte den Kenner geben, stört das Schweigen mit Geschwätz über Humidors, merkt darob nicht, dass er nervt wie der Gesundheitsapostel.

Letzthin war gut. Da traf ich mich mit einem zum Frühstück. Dem bin ich an 'nem Info-Abend begegnet und irgendwie passt es mit uns. Er bemerkte dort, dass die Sache mit der Wertschätzung auch mal ranzig werden könne. Das löste bei mir ein Lachen aus. Nun sassen wir beim Frühstück im Café Ernst und wussten nicht genau warum. - Gerne würde ich mit wem Jarrett hören, bis wir es nicht länger ertragen würden. Mit jemandem, der mitpfeifen kann, einem, der weiss, was wann einsetzt, wann es sich verliert und wo die feinen Momente sind, wo Jarretts Spiel mir die Hand aufs Herz legt.

Toll wäre ein Musikverkäufer, der mir im Geschäft zehn, fünfzehn CDs hinlegt, weil er meine Richtungen kennt, in die ich suche, reinhöre, geniesse, kaufe. Einer der weiss, wer mit wem im Studio stand und warum das seinen Einfluss hat. Und danach treffe ich mich beim Italiener - es ist Samstag. Mittags kann ich ein Glas ertragen, die Herbstsonne lädt gerade zu ein. Terrasse.

Es hat etwas unbeholfen Verlorenes, dass ich immer wieder dieselben Sachen möchte, die nicht sind. Man könnte meinen, ich käme nicht vom Fleck, wäre der immer selbe Langweiler. Dem würde ich zustimmen, würde ich meinen Faibles nachleben, machen, tun. Aber dem ist nicht. Erbärmlich. Ich putze die Küche, falte T-Shirts zusammen, streiche glatt, räume weg. Ordne - säuberlich.

Unterwegs bin ich mässig aktuell, mit Rollkoffer, Ticket, Geschäftigkeit und einem Kopfhörer. Ein Kopfhörer scheint besonders wichtig, um aktuell zu sein. Wegen all der farbenen mit grossen Hardplastikschalen habe ich mir so einen aus dem Sprachlabor gekauft, ohne Mikrofon, schaumstoffen, atmungsaktiv und Grau in Grau. Gegen den Trend hat er sehr wenig Geld gekostet. Damit hat er Chancen, später zerschnitten zu werden, damit ich an die Kabel Lautsprecher verdrahten kann. Weiss wer noch, als man Lautsprecher verdrahtete, um zu Sound oder mehr Sound zu kommen? Lautsprecher, diese Mannsinsignien, die jedem Wohndesign zuwiderlaufen, ausser man sei ein Don-Johnson-Lümmel und fände sie geil, symmetrisch gegenüber dem Jetbett. - Ich überlege mir, dass es ja nicht die alten Aufregungen sein müssten. Hat denn nicht jede Zeit Dinge, denen man mit Freunden verschworen nachgeht?

Bei Minusgraden draussen auf dem Töffli rumsitzen, bloss nicht nach Hause. Sonntags die Karre mit Surfbrettern bespannen, ob je gesurft wurde oder nicht. Hauptsache übertrieben und angeben. Mit dreissig war's dann witzig, ne Ami-Karre zu fahren, so dass man zu dritt vorne sitzen durfte, sich wo Drogen beschaffen und die nächste Goaparty anrollen. Heute sollen Fahrten auf der Weinstrasse oder mit dem Rheinschiff mich bespassen. Auch sollen mich Präventionen beschäftigen. Meinen Arsch durchleuchten, abnehmen, Zucker messen. Messen ist Gesetz, will weiss wer noch Werte ausgewiesen haben. Werte - sind das die neuen Werte?

Und nu? Einen Blogg schreiben? Whisky kellern? Scheiss sammeln? Einen Hund habe ich schon. Fliege tragen? Lederbatten auf den Ellbögen des Manchesterjackets? Dandytücher? Frisur wie Tennis-Borg? Bart?

Samstag. Was an Inhaltlichem bringe ich mit und wem?


Text von Jona Jakob, September 2013 - Copyright Jona Jakob ©