Montag, 21. April 2014

Basel, 18-22g

Es ist Freitag, ich sitze im 18:00 Uhr Zug von Basel nach Frankfurt. Weil es entspannt ist, setze ich mich für einmal in den Speisewagen und bestelle. In Basel Badischer Bahnhof steigen weitere Gäste ein, darunter zwei Herren im mittleren Alter, hager und hochgeschossen, körperlich sozusagen 'elitär'. Sie sitzen auf meiner Höhe an einem der grossen Esstische und bestellen je ein Bier aber kein Essen. 


Während mir die Königsberger Klopse mit Reis und Kapernsauce serviert werden, vertieft sich deren Gespräch, ich konnte anfangs erst nicht folgen, mehr und mehr in das Thema, woher und bei wem man die besten Labormäuse oder Affen beziehen könne. Dabei ging es ohne jedes Zögern um 'Stillhalten' der Tiere, 'Reagieren' oder 'Schädelhärte' um da was aufzumachen oder einzusetzen, bis zu sezieren. Jemand der etwas feinfühlig gewesen wäre, hätte seine Fleischklösse stehen lassen. Ich nicht, ich bin Koch. Aber es scheint so, auch beim Einkauf von Versuchstieren scheinen lapidare Kriterien zu bestehen, über Herkunft, Qualität und Verwendungszweck. Freiburg, die Herren steigen aus. Ich bin innerlich bei Houllebecqs 'Elementarteilchen' - das Hantieren mit dem Besteck auf dem weissen Teller fühlt sich nach Labor an, so präzise ich versuche, letzten Reis auf die Gabel zu kriegen.


Text von Jona Jakob, April 2014 - Copyright Jona Jakob ©

Sonntag, 20. April 2014

Folgen

Das Sterben des Menschen vom späten Herbst kam absehbar und doch überraschend. Nun war er aufsmal tot. So kamen viele Dinge erst einmal "rasch". Die aufeinmal fremden Entscheidungsträger, denn selbst die fortlebende Frau wirkte in dem Moment als Fremde, wenn es um Entscheidungen seiner Bestattung ging, ergaben sich - teils unwillig, teils erleichtert - den knappen, immerselben Angeboten der Bestatter, des Friedhofes, des Redenschreibers und Steinmetz, dem Blumenladen und der Regionalzeitung. Man nahm was kam, folgte diesem schmalen Rahmen, in dem man sich unter dem Begriff Pietät behalten sollte, versuchte selbst darin noch Demut zu beweisen (nur schwarz-weisse Traueranzeige, nicht bunt) und überhaupt wäre es möglich, dieses Anschliessen ans Gegebene als dankbar zu beschreiben, weil man nicht entscheiden mag, weder vorher, dass man sterben könnte, noch danach, wenn tot, dass wer nun tot sei. Bei aller vorgekehrter Gestandenheit ist wenig Format dabei. 

Und dieses geringe, noch anerzogene Duckerformat ist ein tolles Opfer all der Gesetze, Regelungen, Erfindungen und geschickten Einbettungen sämtlicher Betriebe, die mit dem Bestatten zu tun haben und an ihm verdienen. Die haben sich über die Jahrzehnte fein eingerichtet, da gibt es keinen Handgriff, der nicht überteuert wäre. Es ist der blanke Hohn, wieviel Geld damit gemacht wird, dass wir Lebenden in der Not sind, einen Toten aus der Welt bringen zu müssen. Wehe, wenn wir den selber fahren wollten, oder woanders bestatten, oder sogar auf eigenem Grund und Boden. Nix da. Für alles gibt es Gesetze und die Totengräberlobby hat sich das längst in die Bücher schreiben lassen, was geht und was nicht bzw. wie jemand gehen darf und wie nicht.

Text von Jona Jakob, April 2014 - Copyright Jona Jakob ©

Samstag, 19. April 2014

Dare

Letzthin sass ich im Zug von Zürich nach Basel auf einem Platz am Gang. Drei Sitzreihen gegenüber sass ein junger Mann, denn ich gut und von Kopf bis Fuss sehen konnte. Dieser war auffallend eigenständig elegant gekleidet. Grossartig. Sein samtfeiner Manchesteranzug, seine eigenwillig breite Kurzkrawatte, das Türkishemd zum Aubergine des Anzugs. Das crèmige Brusttuch. Seine Schuhe, ledern und halbhoch', die Frisur weich, brutaler Chronometer und bravourös gewählte Ledertasche. Manikürt. Er kam daher, als hätte mir die Französische Küche ein Amüse-bouche kredenzt, wie ich es noch nie gesehen noch gekostet hatte. Spitzenklasse, einmalig, bestaunenswert, gekonnt - höchst gekonnt.

Doch so gewählt, sass der junge Mann als einziger im Wagen. Alle anderen Pendler waren von achtlosem Mainstream-Cashual oder funktionaler Sportlichkeit. Nicht einer oder eine, die zu dem Edelmann gepasst hätten. Und, so schien es mir, als er sich fürs Verlassen des Wagens in Basel erhob, niemand, zu dem er passte, keiner, der in irgend einer Weise an ihn gelangte. Ein Solitär im wahllosen Schleifenlassen jeder Konvention der letzten 50 Jahre gesellschaftlicher Entwicklung, einer Art erreichter Freiheit hin zur Non-Form, aber eben, dann auch niemand mehr da, der es pointiert und gekonnt betreiben, zelebrieren und leben mochte. Niemand, der sich liebte, wenn er zu Human League tanzte.


Jona Jakob, April 2014