Mittwoch, 27. Januar 2016

Ihr kennt das ... man dreht ein Fernglas um und sieht dann erst die Ferne.

Hinweis: Dieser Beitrag nimmt im Mai/Juni 2016 an einer Blog-Parade unter diesem Link teil, wo auch andere Beiträge verlinken, WIE sie zum Schreiben gekommen sind. Mein Beitrag wurde nicht extra dafür geschrieben, aber zufällig vor drei Monaten. Er passt authentisch und uneditiert zum Thema. Lesen Sie bei Eva Laspas rein: http://www.evalaspas.at/blogparade-mein-schreib-weg/ 

Ich schrieb mit acht Jahren meinen ersten Liebesbrief. Es war nur ein Zettel und drauf stand "Willst du mit mir gehen?" Das war es schon. Aber was den Wisch ausmachte, war seine Übersendung. Da wir im Schullager Mittagsruhe in einem speziellen Schlafsaal halten mussten, gab es dort Doppelstockbetten bzw. -liegen. Und oben lag Helena Slavik. Als sie sich nach den 45 min am obigen Bettrand aufsetzte, hatte sie schon ihre Hausschuhe an, eine Art Pantoffeln, welche an den runterhängenden Füssen so klafften, dass ich meinen Zettel mit leichten Fingern ihr unter die Sohle schieben konnte. Weil das kitzelte, so mein Kalkül, schnappte der Pantoffel wie eine Falle zu, meine Geheimnachricht war eingeschlossen und die Botschaft wurde hochgezogen und flach auf der Matratze liegend versteckt gelesen. Meine erste SMS sozusagen.


Ich mag dieses Bild, welches mich so zeigt, dass das Gesicht meines Vaters durchschimmert.
Bild (c) : Jona Jakob, Selfie, privat 


Danach schrieb ich immer wieder Briefe. An Gott und die Welt. An Mädchen und Frauen. An Lehrer und Nachbarn. An irgendwen. Ich bekam meist erstaunte Antwort bis mich später die Philosophie reizte und kaum noch jemand mich verstand, ausser vielleicht mein Vater. Bis dahin hatte ich vier Bundesordner voll.

Zu meiner Volljährigkeit erschien meine erste Publikation, ein 8-Seiten-Heft A5, von dem es exakt 2 Stück gibt (1 Exemplar besitze ich noch). Auf das andere hin schrieb mir mein Vater einen langen Brief, in dem auch seine berühmten Zeilen bezüglich einem 'verzauberten Herzen' stehen - wenn Sie die nicht kennen, fragen Sie mich. Sein Brief ist heute noch eine Wucht.

Meine Liebschaften liebten es, wenn es von mir Post gab. Sie liebten meine Briefe, meine verlorenen Sätze an Spiegeln, Tafeln und Kacheln, meine subtextlichen Anspielungen, die einem zärtlichen Streicheln nur für die Eine, aktuelle, gleichkamen und die gerne in Handtaschen aller Art eine Bleibe fanden.

Dann kam das Internet.

Ich war unterdessen ca. 35 oder 40, als ich immer komplizierter schrieb. Meine Gedanken und Abhandlungen überforderten mein Umfeld, ich nervte oder erhielt keine Aufmerksamkeit. Das ärgerte und kränkte mich und ich bezichtigte mein Umfeld des Banausentums und der Faulheit, sich mit den Dingen vertieft auseinanderzusetzen. Ich scheiterte. Ich scheiterte an meinem übermässigen Bemühen, angenommen zu werden, verstanden und geliebt und erfuhr das Gegenteil, Unverständnis, Ablehnung, bis hin, ich sei ein Spinner und mit mir wolle man nichts zu tun haben. Es war die Zeit, als ich erste Texte ins Internet schrieb, anfänglich noch auf eine Website.

Als ich meine Geschäfte in Zürich verlor, das Haus und meine Frau, schrieb ich wie in Blöder. Ich erstellte mir schreibend ein Parship-Profil und angelte mir nach der ehelichen Trennung viel spontane Intimität. Ich war da 124 Kg schwer und depressiv, vom Typ Rolf Lassgard, der den Wallander spielte.

Da geschah meinem Schreiben eine kleine Wendung, die ich erst drei Jahre später bemerken sollte. Parship zeigte mir ja auch, wer mir wie zurückschrieb und das waren deutsche Mädels und nicht die Schweizerinnen. Die notieren drei Zeilen in Kleinschrift und Schweizer Dialekt "Hoi, bisch no en Luschtige. Mir chönnte mal en Kafi ha." - Das wars aus der Schweiz. Aber aus Deutschland kam Post. Richtige Post. Eine Antwort umfasste gerne ein bis zwei A4-Seiten und schrieb ich wieder zurück war gleich wieder was zu Lesen da. Da war Austausch. Ich war weiter in fremden Betten unterwegs, ob in Stuttgart, im Taunus, in Strasburg oder Hamburg. Fett, müde, schwerfällig und irgendwie suizidal ... aber intelligent genug, mit Sprache zu verzaubern und hierfür Hof zu erhalten, als wäre ich ein Narr und Sänger in alten Zeiten.

Als Parship zu anstrengend wurde und ich wieder alleine in Zürich sass, begann ich in XING. Wow, da gab es schreibende Gruppen für Philosophie, Schreiben, Menschsein, etc. etc. In 10 Jahren XING muss ich an die 100'000 Beiträge gepostet haben. Bei gezählten 30'000 gab ich auf. Ob ich mir bei den Philos Freund und Feind einhandelte, ob ich bei den Schreibenden mehr Prügel für meine Sprache und Scheibe erhielt, als je von meinem Vater, ob ich in Gruppe zu Betroffenheitsthemen mit meinen Sprachbildern und Formulierungen Furore machte - egal. Ich war alles, nur kein Trockenschwimmer mehr. Ich hatte Publikum, Leserschaft, Zugeneigte und richtige Streitpartner. Meine Schreibe kam an.
Und auch in den letzten 10 Jahren der Leserschaft habe ich mich nochmals drastisch verändert. Ich schreibe wieder anders, durchschrieb eine bis zwei Metamorphosen, Krisen, Enttäuschungen und Wiedergeburten. Mein Wesen kehrte sich in all dem aus. Mein Geist, meine Seele, mein Weltbild. Es veränderte sich mein Wortschatz, meine Rechtschreibung, mein  Blick für andere Texte und Schreibweisen. Was sich wirklich änderte ist, dass heute immer wieder jemand fragt: "Wann schreibst du ein Buch?" Und der aktuelle Höhepunkt einer darauf hin bezogenen Antwort gab gleich jemand aus der Leserschaft. Sie sagte laut heraus: "Von dir stehen schon so viele Bücher im Internet." - Das war vielleicht die schönste Bestätigung, weil ich mich da gelesen fühlte.

Ich war also noch nicht einmal 50, als mich wegen meiner Schreibe eine Frau anging, die ich im Leben nur drei Tage erleben durfte. Sie gab mir in der kurzen Zeit zurück, was mir in den fast 25 Jahren zuvor wegen Entfremdung verloren gegangen ist. Dann erfuhr ich von meinen Anteilen an Begabung und Sensibilität und ich zog mehr und mehr nach Deutschland, nach Frankfurt um es genau zu sagen, wo ich heute lebe, weil man mich hier versteht.

Heute schreibe ich aktuell in 8 veröffentlichten Blogs und werde eingeladen, an prominenter Stelle Texte beizutragen. Und immer wieder erkenne ich drei Dinge, die mir erwachsen sind:
- ich kann Dinge sehend erkennen und diese dann in Sprache betten, als würde ich zeichnen
- ich kann in dieser Sprache Gefühle, Bilder und Verstehensweisen bilden und
- Sprache wie Intellekt sind ohne jede Professur aus mir gewachsen, was heute MEINES ist, auch wenn ich es nur 'Meine Schreibe' nenne.

Letzte Nacht, als Sie mir schrieben, entwickelte mein Kopf einen 'Titel' im Bereich meines Arbeitens, ein Titel, der Produkte bezeichnet, die es noch gar nicht gibt. Ob darunter Bücher, Kurse, Seminarien oder sonst Haptisches entsteht, ist schier egal, aber im Fachbereich, in der Kunst mit Menschen, habe ich mein Dach in Worten erschrieben, auf dass ich darunter trocken und kaum beraubt bleiben und arbeiten kann.

Und in dieser Freiheit die Arbeit zu tun, die ich bis in meinen Tod tun will, erschrieb ich mir neu gewonnenen Boden und Raum, auch mal wieder etwas zu schreiben, das einfach so daher kommt. Kann gut sein, dass nächstens 'Limbach' über was stolpert. Was mir dabei aber noch wichtig ist und was nach dieser Notiz spürbar sein müsste: Ich schrieb. Ich schrieb an wen. Aber ich schrieb immer weniger für wen und schrieb dafür immer mehr für mich. Ich bin bester Dinge in dem Gefühl, zu wissen und zu spüren, was mir das Schreiben gut tut. Und in dieser Selbstzugewandtheit ist vielleicht jenes, was andere für sich selber auch gut finden können, ohne jede Botchaft von mir, auf dass sie ihr Ding tun.

Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Für Sie jedenfalls nicht. Für mich schon. Ich muss das auch nur für mich wissen. So auch dieser Text, den ich für mich schrieb und der vermutlich nun in den Blog wandert.

Ob und was Sie mit sich nun tun, werden Sie mich vermutlich wann wissen lassen. Das macht es mir dann auch möglich, mich darüber zu freuen, egal, ob Sie von einer Krise oder vom Erfolg erzählen, vom Ruhenlassen oder von wildem Tatendrang. Das ist dann Ihre Geschichte. Vergessen Sie daher das Publikum - sehen Sie sich, maximal noch Ihr Werk - basta.

Jona Jakob - 2016