Mittwoch, 15. Dezember 2010

Nachmittagssicht

Bei mir gibt es eine Aussicht. Es liegt da der Main zwischen den Ufern blattloser Büsche. Seine schlammtönerne Kälte wirkt. Gegenüber ist Bayern, was ich stets komisch finde. Dort liegen Felder, da kein Baum die Sicht darauf verdeckt. Schwemmland. Erst weiter hinten folgt etwas Industrie und dahinter erheben sich am Horizont die Weinberge des Spessart. Heute liegt Schnee und über allem steht in Grau der Himmel.

Der Blick ist jener auf ein historisches Landschaftsbild, gemalt in tristem Öl und schwer gerahmt, fast bürgerlich und etwas aus der Zeit. Über die Felder ziehen, je nach Jahreszeit, Tiere. Ein Rehpaar und ein Fuchs heben sich im Winter gut gegen das Weiss des Schnees ab. Kormorane balzen. Und Rammler prügeln sich die Pfoten um ihre langen Ohren, wenn es Frühjahr wird. Hunde und Pferde werden von Menschen getrieben. Die passen nicht wirklich ins Daliegende. Sie wirken zielstrebig und das strahlt die Landschaft nicht aus. Sie strahlt nichts Nennbares aus. Sie liegt einfach da und das scheint es zu sein, womit sie mich erreicht.

Ab und zu kreuzt ein Frachtkahn auf dem Main durch das Bild. Leise und stoisch fährt so ein Pott an den Rhein oder ins Schwarze Meer, was weiss ich. Die schiebende Bewegung des Kahns hebt dabei das Daliegende der Landschaft hervor - ein paar Wellen noch, dann scheint wieder alles wie zuvor.

Ich vergesse dann manchmal, dass jemand anrufen könnte und fahre zusammen.


Text von Jona Jakob, Dezember 2010 - Copyright Jona Jakob ©

Freitag, 13. August 2010

Nachtcafé

Er fühlte sich ganz wohl dabei, dass die Kaffeebar leer war und er sie ganz für sich alleine hatte. Die Bedienung war mit letzten Arbeiten beschäftigt, räumte Gerätschaften aus und rieb Gläser trocken. Tassen schepperten, Löffel klirrten. Er selbst nahm den Raum in sich auf, alles, was an Wärmen, Gerüchen, Lichtern und Eindrücken möglich war. Dann atmete er aus, während er den Streuzucker unter den Milchschaum rührte.

Er sass da und liess die Zeit sterben. Ihm war danach. Allein im Irgendwo. Ihm passte das und so schrieb er ein paar wenige Zeilen für sich. Die Eingangstür am Ende des Raumes ging kurz auf und ein athletisch tüchtiger young urban failure legte einen Stoss frische Tableauformate auf den Tresen, die 20-Min, die in jeder Stadt verteilt wurden. Kein wirklicher Lesestoff, das Kreuzworträtsel war ok.


Er hatte noch gute vierzig Minuten, bis er in die Nacht entlassen wurde. Das fand er wunderbar, genoss sein Vergessensein in der abgelegenen Ecke, schlurpte am Milchschaum rum. Da er kein ordentliches Papier bei sich hatte und ihm das karrierte Blatt vom Notizblock zu ernüchternd wirkte, hatte er sich in einer Glanzpostille eine Werbeanzeige mit grossen und leeren Hintergrundflächen gesucht. Jetzt schrieb er Zeilen um die Taille einer Ikone.

"Fleur, wie mag es dir gehn? Leise die Tage, schwankend, von Wellen getrieben. Wenn ich schreibe und meine Brust dabei erhitzt, gibt es sich, dass ein Hauch von Dir hochzieht und sich verflüchtigt. Es ist mein Glück, dass du dir den Pulli geschnappt hattest, damals an jenem Dienstag, als wir auf den Zug warteten. Hauch, in wenig Zeit geh ich in die Nacht - adieu, ich begleite Dich zu jeder Zeit des Tages."

Es quitschte eine Tram am Haus vorbei. Es war draussen etwas kühler und vorallem war da jenes späte Gefühl, das in ihn heimkehrte, wenn in der Nacht der Moment entsteht, wo er für sich meinte, alles stünde langsam still. Den Wagen starten, folgend dem, was die Lichtkegel hergaben. Nicht links, nicht rechts. Vielleicht einen Mundwinkel hochziehen, wenn Chris Isaak gespielt wurde.

Text von Jona Jakob, August 2010 - Copyright Jona Jakob ©

Freitag, 30. Juli 2010

Heiniger

Heiniger hatte getan, was von ihm verlangt wurde. Es war als Bub zur Welt gekommen, hatte nie geweint, kannte als Indianer keinen Schmerz und absolvierte Pfadi und Turnverein wie seine Schulen. Weil das Gymi dem familiären Anspruch entsprach, schaffte er seine Matur und da der Vater darauf was hielt, studierte er Rechtswissenschaften in St. Gallen. Er war ein Dr. jur. HSG, international vernetzwerkelt, bestens ins OBNW integriert und auch im Militär hatte er es bis zum Oberst geschafft. Kurz: jede mittelständische Bank riss sich um ihn und dann war da Lisa, dünn, lapprig, willfährig und heiratswillig. Sie passte zu ihm und er passte zu ihr. Jedenfalls sahen das die beiden Familien damals so. Heirat, Kind, Haus, zweites Kind, Eintritt in die Anwaltskanzlei von Matt, Bärlocher und Partner... - es sah für alle anderen wirklich gut aus.



Text von Jona Jakob, Juli 2010 - Copyright Jona Jakob ©

Mittwoch, 14. Juli 2010

Herbstmilde

Manchmal gibt es Momente, wo einem die Dinge, die Geschehnisse und Begegnungen weich vorkommen, langsam und rücksichtsvoll. Man spürt förmlich, dass man nicht übergangen wird. Da ist ein Fragen, ein Anklopfen, ein Platzmachen. Und dann entsteht ein Beisammensein, welches sich im Gegenseitigen nährt und sich vertraut. Manchmal entsteht aus dem Nichts ein Dialog, ein Tauschen. Manchmal scheint die Sonne dann tagdrauf im weichen Maisgelb ihres Herbstes. Die gewählte Musik ist leiser, langsamer, klanglich tiefer.

Man ruht in sich selbst, den Kopf leicht schief, das kleine Vermögen an Demut zu unterstreichen und ein Lächeln als Anteil am Glück. Tiere schleichen sich an und Kinder müssten sich heranlegen und einschlafen. Man ist satt wie ein Blütenstempel, klebrig,  fruchtsam, nahrvoll und duftend und ist da, komme wer da möge.Das gibt einem eine Tasse Tee, ein offenes Fenster, ein sanftes "Hallo" und ein Verstehen, das nicht gleich schon reden muss. Es fliessen Hände.


Text von Jona Jakob, Juli 2010 - Copyright Jona Jakob ©

Donnerstag, 11. Februar 2010

Eisener Steg

Es war beider winterliche Kleidung, welche bemühte Handgriffe tumb machte. Es gelang nicht wirklich, einzelne Finger, den Daumenballen oder die Handinnenflächen als Zärtlichkeiten anzudrücken, zu dick die Schichten an Pullovern, Jacken, Übermänteln. So standen sie im Wind einer Hängebrücke Mitte und sahen nirgendwo sonst hin, ausser kleinwenig in des andern Haar oder Ärmel hinein, den Blick nah und die Lichter am Horizont verschwommen. Passanten sahen kurz rüber, schwiegen aber. Vielleicht wurde etwas von der Ausdrücklichkeit spürbar, mit welcher sich die beiden in der Umarmung lagen. Es verging eine Stunde oder zwei, ihnen war's egal. Keiner fror oder war innerlich sonst wo, ausser eben in diesem Gefühl des andern, dem er zuvor begegnet war und den er nun nicht kannte. Ein Kohleschiff schipperte unter dem Gehsteg vorbei. Da schlich sich ihm das Klischee ein, bei der Löschung umklammert in Totenstarre gefunden zu werden, wäre ... -"Vergiss'!"


Text von Jona Jakob, Februar 2010 - Copyright Jona Jakob ©