Samstag, 19. April 2014

Dare

Letzthin sass ich im Zug von Zürich nach Basel auf einem Platz am Gang. Drei Sitzreihen gegenüber sass ein junger Mann, denn ich gut und von Kopf bis Fuss sehen konnte. Dieser war auffallend eigenständig elegant gekleidet. Grossartig. Sein samtfeiner Manchesteranzug, seine eigenwillig breite Kurzkrawatte, das Türkishemd zum Aubergine des Anzugs. Das crèmige Brusttuch. Seine Schuhe, ledern und halbhoch', die Frisur weich, brutaler Chronometer und bravourös gewählte Ledertasche. Manikürt. Er kam daher, als hätte mir die Französische Küche ein Amüse-bouche kredenzt, wie ich es noch nie gesehen noch gekostet hatte. Spitzenklasse, einmalig, bestaunenswert, gekonnt - höchst gekonnt.

Doch so gewählt, sass der junge Mann als einziger im Wagen. Alle anderen Pendler waren von achtlosem Mainstream-Cashual oder funktionaler Sportlichkeit. Nicht einer oder eine, die zu dem Edelmann gepasst hätten. Und, so schien es mir, als er sich fürs Verlassen des Wagens in Basel erhob, niemand, zu dem er passte, keiner, der in irgend einer Weise an ihn gelangte. Ein Solitär im wahllosen Schleifenlassen jeder Konvention der letzten 50 Jahre gesellschaftlicher Entwicklung, einer Art erreichter Freiheit hin zur Non-Form, aber eben, dann auch niemand mehr da, der es pointiert und gekonnt betreiben, zelebrieren und leben mochte. Niemand, der sich liebte, wenn er zu Human League tanzte.


Jona Jakob, April 2014