Samstag, 2. August 2014

Spirit of Media-Markt

Die Tage waren seit Wochen zu heiss und jeweils am späten Nachmittag sank seine Präsenz ins Bodenlose, schleppte er sich mit seinen klebrigen Kleidern auf der Haut durch Gänge und Büroräume, erledigte scheinbar dies und das und sah eigentlich nur zu, dass sein Streben den Effekt hatte, auch andere im Unternehmen zum Aufhören und Niederlegen der Arbeit zu bewegen. Er liess Rollläden runter und schloss leere Räume ab oder machte Papiereimer leer, stelle Taschen bereits dort hin, wo sie dann nach Hause mitgenommen würden. Er hatte darin eine penetrante Wirkung und langsam gaben die letzten Eifrigen auf, der Wagen rollte vom Hof, das Geländetor zur Arbeit wurde geschlossen. 

Für einmal war noch etwas Kraft vorhanden, hatten sie alle gut gearbeitet. Zufriedenheit stärkte Resttatendrang. Seine Beste schlug deshalb vor, noch über den Main zu Frankenstolz zu fahren, um sich eine neue Überdecke und ein Kissen zu kaufen. "Hat es dort einen Media-Markt in der Nähe?" Ja. Man beschloss, zuerst bei Frankenstolz reinzuschauen und danach zu entscheiden, ob der Hund fit und an Kräften noch genug war, um in einen Media-Markt zu gehen. Alles gut. 

Ein Media-Markt befremdete ihn stets von Neuem. Dieses lila-kalte Licht grauste ihn. Und er, der kein wirklicher Konsument, kein Shopper war, konnte mit all der Auswahl an Geräten und Sortimenten nichts anfangen. Für das Angebot hatte er keinen Zugang. Wenn er also durch einen Media-Markt schlich, dann zielstrebig dort hin, wo er seinen Bedarf vermutete. Anderes konnte ihn nicht vom Weg abbringen. Ihm war danach, sich Musik-CDs zu kaufen, was in letzter Zeit wieder häufiger vorkam. Die stehen im hintersten Bereich des windungs-reichen Ladens. Er hatte noch keine Idee, wonach er suchte oder was er gerne hören würde. So streifte er mit seinem Blick die '100 Neuheiten'. 

Da er auf diese Weise beim letzten Kauf gute Erfahrungen gemacht hatte, achtete er sich während des Blickestreifens, was gerade vom Geschäft abgespielt wurde. Er blieb an diesen bekannten Klängen gleich hängen, dieser Rockstimme mit Vibrato, den Moog-Synthesizern. Noch sah er sich ein Regal an, aber dann lies ihn der Sound nicht mehr los und er strebte stracks auf den Ladenraum zu, wo ein Verkäufer sein Büro etc. hatte. "Was lassen Sie gerade abspielen? Das ist mir bekannt, aber ich komme nicht darauf? Das kennt man doch." Der Verkäufer drehte auf der Theke lapidar einen CD-Umschlag rum. Uriah Heep - aus den Lautsprechern begann 'Easy Livin'. "Yeah, die muss ich haben." Der Verkaufsmitarbeiter, sportlich, doch in den Jahren wie er selbst, begleitete ihn motiviert, als ob man sich verstünde, zu einem Regal, wo Neuauflagen für "Fünf Euros" angeboten wurden: Thin Lizzy, Procol Harum, Deep Purple, Uriah Heep, Status Quo, etc. Klar griff er sich die Uriah Heep CD und weil er sich in seiner kindlichen Jugend, also mit ca. 12 - 15 Jahren nie eine Status Quo gekauft hatte, tat er es heute, schier 40 Jahre später, die fünf Euros war ihm das Abenteuer wert.


Späte Neuzugänge / Bild: (c) bei Jona Jakob, privat

Er freute sich über die beiden Fundstücke und setzte seinen Check durch die Regale fort. Einen Verkaufstisch weiter stiess er nochmals auf den Verkäufer, der jemanden bediente. Zurückhaltung fehlte und so sprach seine Begeisterung: "Ich flippe schier aus, ich könnte hier wegen dem Sound abtanzen, so geil, das ist echt, was ich noch von früher kenne - danke nochmals für die Bedienung." Der Verkäufer nickte grinsend und in einer Mischung aus Jahrgang, Kenner und und Altersbruderschaft, die jenen späten Jahrgängen, die solche Musik nicht kennen lernten, etwas Verschworenes voraus hatte. Für die Musik musste  man entsprechenden Jahrgang haben. Prompt bestätigte der beratene, reifere Kunde in Shirt und Shorts, dass ja solcher Sound jetzt wieder angeboten würde, er möge das auch. - Dann gab es ein Doppelalbum Goa, aber das war für ihn eine spätere Zeit, als er zu Goa in Wäldern oder auf Gipfelhöhen sich mit dem Kosmos verband und durch die Nacht schwang. 

Seine Beste hatte sich um einen Wasserfilter für die Kaffeemaschine gekümmert und liess wissen, dass sie zurück zum Auto und zum Hund ginge und er solle doch einfach machen. Er fand die Kasse. Er hätte sich nicht weiter geachtet, wenn die Verkäuferin, sicher nicht viel jünger als er, nicht seine CDs so genau angeschaut hätte, nachlesend, was auf dem Cover bei Status Quo stand und bemerkte: "Die muss ich nachher auch noch haben, das war damals eine gute Zeit." Man verstand sich. Erneut fiel, diesmal von ihr, die Bemerkung, man müsse halt etwas Alter haben, um das noch zu kennen - ! Man verstand sich ohne grosse Worte und wünschte sich gegenseitig ein entspanntes Wochenende. 

Im Wagen legter er Status Quo gleich ein und erlebte eine Rückfahrt, die er sich so nicht ausgemalt hatte. Normalerweise war nur er es, der bei Musik mitging, aber diesmal und zu seiner freudigen Überraschung schwang seine Beste mit. Entzückt aber auch leicht mystisch verunsichert trieb er den satten Wagen über die Piste heimwärts, spürend, wie in dem Laden mal keine Jugend vortrat, sondern eine Energie der 60er-Jahrgänge das Klingen und Schwingen hatte, allem Kaltlicht zum Trotz, tief unter allem die Freude und das Gefühl für alten Rock. "What ever you want" - nur Headbangen zur Luftgitarre war am Steuer nicht drin. Passt schon, bei etwas Lautstärke. Und nix mehr von Abgeschlagenheit.