Dienstag, 14. Juli 2015

An Tagen wie diesen - ...

Jetzt habe ich tagelang den Griechen-Krimi mitverfolgt. Dann gestern der erste Entscheid, Ausdruck von Haltung und Orientierung, von Ohnmacht und einem Verbleiben. Danach war mir schlecht, physisch schlecht. Mein körperliches System rebellierte.

Denn zur gleichen Zeit war ich implementiert, ein Unternehmen aus den Miesen zu kriegen, dem, was man gemeinhin einen Turnaround nennt. Und wir sind raus, aus den Miesen. Wir haben restrukturiert, geopfert, zugelegt. Wir generieren eigenes Geld und haben zufriedene Kunden, seit einiger Zeit nun. Und ich erinnere mich an den Herrn vom Finanzamt, der mir am Telefon mitteilte, er sehe vor, uns zu verklagen, wenn wir die Steuern nicht pünktlich überweisen würden, da er den Verdacht auf Veruntreuung vorwerfen werde. Er sah dann davon ab, aber ernst war es ihm ohne Zweifel. Als jemand, der aus der Schweiz stammt, war mir dieser Ansatz nicht nur ein bedrohlicher sondern ein höchst philosophischer, ein kultureller und staatstragender.

Quo vadis? / Bild / Jotter (c): skizziert von Jona Jakob, privat
Solche gleichzeitigen Wahrnehmungen, wie auch den Syrienkrieg oder ISIS, die abgefackelten Flüchtlingsheime, das Flüchtlingsdrama ohnehin. Die Frauen-Fussball-WM, der russischen Waffenaktivitäten, whatever, die machen mich an gewissen Tagen kaputt. Kaputt in dem Sinn, dass sie mir in ihrer Form und Entwicklung schier alle Werte aus meinem Leib und meiner Seele reissen. Was gilt noch? Was ist noch richtig oder falsch? Woran soll ich mich orientieren? Es kriegt also endlos Geld, wer schon richtig Schulden hat? Wir retten 8 Stunden eine Katze vom Baum, lassen aber Boatpeople ersaufen. Wir checken uns an Flughäfen bis auf die Haut, fliegen aber ein volles Flugzeug an die Wand. Wir werden DSDS-Sieger, sind aber ein absichtsvoller Krimineller. Die Zweite, die nichts bekommt, darf die halbe Million davonschwimmen sehen an einen, der nicht vertretbar ist. Und nun Schäuble mit einem Shitstorm niedermachen, als hätten alle mit innerer Sicherheit eh gewusst, dass man zu Griechenland halten "soll".

Ich nein. Ich habe das nicht gewusst. Dieser zu tiefst therapeutische Gedanke, man sei immer ok, hat seine Gültigkeit und ist nun zuletzt gewählt worden. Aber in einem Coaching oder in einer zur Bestimmung fähigen Führung, in einem Turnaround oder vor der Wahrnehmung, sich gesetzlich verantworten zu müssen, in solchen Kontexten - allein dem, eine Buchhaltung mit positivem Erfolg abzuschliessen - hat und haben Schäuble und alle Ablehner der Lösung, neue 80 Mia gegen 12 Mia in 3 Jahren mE eine durchaus vertretbare Position.

Eine meiner wichtigsten und beständigsten Aufgaben als Coach ist es, mich und meine möglichen Kunden darauf aufmerksam zu machen, in welchem Kontext der Wunsch nach einem Coaching angesiedelt ist. Er mag noch so viele therapeutisch wirksame Anteile in sich enthalten - es bleibt ein Coaching. Wir haben ein Ziel, wir haben eine Abmachung, wir haben einen Weg. Was wir nicht haben, ist eine Betteltour (die bleibt ok, aber nicht im Coaching-Kontext; da wieder, man muss es sich vor Augen halten).

Der gestrige Entscheid eines neuen Hilfspaketes, hat mich bis aufs Mark erschüttert. Denn ich spürte in mir diese Haltung nicht wirklich vertreten zu mögen. Allein diese Ambivalenz, ein Unmenschlicher zu sein und gleichzeitig meinen verstorbenen Vater zu spüren, der mir Grenzen zeigte - oder der erfasste humanistische Gedanke des ewigen OK-Bleibens, auch als Delinquent in der Todeszelle, als Obdachloser und Armer vs. der Notwendigkeit, die eigene Komfortzone verlassen zu müssen, wenn sich etwas ändern soll. Ich war in mir bei dem, was wir therapeutisch 'Vampirismus' nennen, beim Beenden des ständigen Rettens um im Anderen Bewegung und erst einmal genügend Not zu schaffen, bis er es nicht mehr ertragen mag und sich fortgestaltet. Gestern wusste ich, einer mega Krise gleich, nicht mehr, wer ich war, sein möchte und zu sein habe. Es war mein Vater, der mir damals bei Erscheinen des Kinofilms 'Apokalypse now' erklärte, ich muss 20 gewesen sein, dass die auch biblisch dargestellte Apokalypse nicht den Gedanken vieler bebildeter Darstellungen gleich kommt, nämlich dem Zerfall von Leib und Gütern, sondern vielmehr, dass die Apokalypse zum Ausdruck bringt, dass ALLE WERTE zerfallen - also das Abstrakte versaut sich: Liebe, Freude, Wohlsinnen, Schmerz, Angst, Rechtschaffenheit, Ehre, etc. - DAS geht dabei kaputt. Und gestern, bald 15 Jahren nach meinem Geburtstag am 11.09.xx stand ich innerlich bewegt wie zerschlagen vor dem Fernseher und versuchte ein weiteres Mal ansatzweise zu verstehen, was nun apokalyptisch alles geschaffen wie auch verdreht wurde. Ich müsste an der Stelle Sloterdijks 'Kritik der zynischen Vernunft' neu oder bestätigend lesen, der da formulierte: "VERSCHRAUBT."


Sehr geehrte Leserschaft

Ich habe manchmal echt keine Ahnung mehr. Bisweilen ist dieser Zustand, je älter ich werde, mal grösser, mal kleiner, mal egal und mal mich arg angreifend, so dass ich das starke Bedürfnis in mir verspüre, mich finden und sichern zu müssen. Denn mit jedem Schritt erfahrenem Vorwärts vermag es mir nach soliden Tagen auch das Innere leichter aufbrechen, nach dem ich erkennen muss, wie erbärmlich pragmatisch Vieles aufgestellt ist, sich etwas vormacht und eigentlich nicht zu verantworten ist.

Dann wirft es mich auf mich selber zurück, letzte Instanz meiner Möglichkeiten. Ich fange dann an, schweigend meine Schuhe zu putzen, Blumen zu giessen, den Abfall rauszubringen. Getting things done. Irgendwas, das mich glauben und spüren lässt, rechtschaffen zu sein, wenn es getan sei. Ich versuche dann, die Welt möglichst nicht zu sehr zu belasten. Und ebenso gehe ich in mir an die Punkte, in denen ich vor Grössen frank und blank dastehe, in einer kleinen Form von Hoffnung, damit auch für andere etwas Aufrichtigkeit spürbar machen zu können. Dass mir zu viele schweigen und irgendwie weitermachen, weil auch ich nicht wüsste, wie anders, das aber schreibe ich weiterhin eher noch einer Unzulänglichkeit zu, denn einer mir aus Bedürfnissen der Entlastung selbst  zugeschriebenen Demut. So fein bin ich nicht.

Jona Jakob, 2015