Mittwoch, 2. Oktober 2019

Ich liebe McDonalds

Ab und zu kommt es mich an, da möchte ich für einen Moment verschwinden. Das kann hier in Deutschland aber auch woanders in der Welt geschehen, ich will mitten im Tag fort - weg hier.

Dann fahre ich die wenigen Kilometer in einen McDonalds, gerne etwas außerhalb eines Ortes, ihr kennt diese Gelände, welche neben einem Verkehrskreisel, am Rande der Industriezone, bei einer Tanke, also irgendwo im Nirgendwo liegen. Brache Brachen. Dort fahre ich hin, parke, steige aus und gehe rein.

In einem McD bist du niemand. Mit dem Eintritt erlöscht deine Identität, man kennt dich nicht, keiner nimmt Notiz von dir, du bist sofort undefinierbar wie alles hier. Das ist ein schönes Gefühl.

Irgendwo bei Darmstadt ... (Bild: JJ, 2019)

Keine andere Kundschaft nimmt dich wahr, außer du nimmst wem den Vortritt. Doch damit ist heute auch schon Schluss, da man jetzt an Terminals auswählen, bestellen und bezahlen kann. Ob dort oder noch am Tresen, mit seinem Mikro, dem Bildschirm, der Menuführung nimmt das Personal keinen Kontakt zu dir auf, du brauchst nichts zu befürchten, da ist niemand. Was du kriegst, ist ein Plastikständer mit einer Nummer und eine lange Quittung, als wäre sie ein Bingoschein.

Ich setze mich in eine der abschottenden Nischen. Eigentlich habe ich kaum Ahnung, was ich bestellt habe, meine Wahl ist diffus. Bin ich überfordert, bestelle ich langjährige Standards und immer 'Menu'. Selten, dass ich ein Extra-Angebot ordere, was weiß ich, was ich dann erhalten werde - lieber nicht, lieber das Gewohnte, also Big-Mac-Menu-mit-Cola-light-ohne-Eis-dazu-drei-Portionen-Ketchup-und-ja-normale-Pommes. Das ist mein Gericht. Eine noch nie gesehene Bedienung bringt dir "Nr. 174?!" und wünscht noch "Guten Appetit."

In dieser Zeitblase des Daseins bei McD mache ich Pause. Ich muss nicht präsent sein, niemand achtet sich auf mich oder meine Essmanieren. Ist egal, sie haben mir acht Servietten mitgegeben, das Plastiktablett fängt notfalls alles auf, was sich irgendwo rausdrückt und runterfällt. Meine klebrigen Finger sieht niemand, alle sind auf ihren ganz eigenen Zauber konzentriert. Wie ich aussehe, zählt nicht.

Bei McD zu sitzen löst bei mir das Gefühl aus, welches Falco damals in einer Textzeile besang: "Und ihr werdet mich nicht finden - niemand wird mich finden ..." Ob hier in Kleinostheim oder in der Tangente von Barcelona beim Campus Nord, in Maisach bei München oder Altstetten in Zürich - das Terrain McD ist fort von dieser Welt, es nimmt dich ein, es reißt dich raus aus deinen Dingen, deine Last des Alltags wird extrudiert, geformt, paniert und rausgebacken. Alles golden-crispy nun.

Noch während ich die neuen Angebote studiere, die bis zum nächsten Besuch von noch neueren Angeboten abgelöst sein werden, kaue ich auf Undefinierbarem ohne Geschmack. Es fasziniert mich wie jene Symphonie, 4'33", in der über diese Zeit kein einziger Ton gespielt wird. Man tut aber so. Dass mein Körper darunter leidet, drückt der erst aus, wenn ich wieder in der Welt angekommen bin. Aber bei McD kann ich gut so sein - ohne jede Berührung, ohne jeden Bezug zu irgendwas, egal auch die Tageszeit. Wenn mich etwas interessiert, dann die Spielsachen aus den Kidsboxen, die ich nicht verstehe, die aber gefragt zu sein scheinen.

McDonalds ist eine Pause. Nicht einmal die Geschmackssinne müssen was erfassen, das System lenkt mich, ich bin ein Gleiches unter Gleichen. Mir ist es keinen Gedanken wert, wenn da wer Übergewicht hat oder Kinder schon dick sind - gehört thematisch alles nicht hier hin. Nicht einmal mein Handy interessiert mich. Facebook? Viel zu nahe. Twitter ... echt jetzt? Trump? Friday-for-future? Mir alles egal, ich bin hier und das ist gut so, reicht ja schließlich.

Und so verweile ich dort zwischen Menudisplays, Pseudodesign, Plastik und Undefinierbarem - und bin - Nichts geschieht, kein Fortkommen, keine Entwicklung. Alles Zero.

Dann fährt mich mein Wagen zurück ins Bewusstsein von Verkehr und anderem. Fertig Pause.


Jona Jakob (c) 2019